Europa & postkoloniale Verflechtungen
Wer oder was bestimmt, was Europa ist? Ist Europa nur ein Projekt der Europäischen Union? Welche anderen Europas lassen sich in den Geschichten und der Gegenwart postkolonialer Verflechtungen und globaler Migrationsbewegungen entdecken? Wie wird Europa nicht nur “von oben”, sondern auch “von unten” und von seinen Rändern aus hergestellt?
Europäische Ethnolog*innen untersuchen Europa nicht als statisches, geopolitisches “Festland”, dessen Konturen gegeben scheinen, sondern als veränderliches Ergebnis unterschiedlicher Prozesse von „Europäisierung“, an denen viele Geschichten, Akteur*innen und Handlungsräume beteiligt sind. Die globale Zirkulation und Mobilität von Menschen, Wissen, Objekten und Ressourcen stehen daher im Zentrum der Entwicklung einer (post)kolonialen Welt der ungleichen, vielfach unsichtbar gemachten Verflechtungen. Sichtbar werden diese oftmals an den äußeren und inneren Grenzen eines scheinbar eindeutig in dieser Welt fixierten Europas. So zeigen sich Hierarchien, globale Gefälle und oftmals rassifizierte Herkünfte, die auf politischem Weg das kulturell Andere schaffen. Gleichzeitig ist jedoch diese koloniale Matrix der Welt immer schon umkämpft und heute Veränderungen ausgesetzt, die gerade Europa in seinen selbst geschaffenen Grenzen und mit einer zunehmend postmigrantischen Textur seiner Gesellschaften umgestalten. So betrachtet ist Europa nicht nur Produzentin, sondern ebenso selbst Produkt sich verändernder, globaler Machtverhältnisse.
Europäische Ethnologie beschränkt sich auch dann, wenn sie sich Europa selbst zuwendet, keineswegs auf den geographischen Kontinent, den heutigen politischen Raum der Europäischen Union oder gar auf die Fiktion national gedachter, kulturell homogener europäischer ‚Völker‘. Im Gegenteil geht es einer kritischen Europäisierungsforschung um eine Reflexion Europas aus der Perspektive globaler Verflechtungen, transnationaler Konflikte, und Mobilitäten. Um diese sowie ihre nachhaltigen Wirkungen zu untersuchen, forschen Europäische Ethnolog*innen nicht nur in europäischen Gesellschaften, sondern in weltweit verteilten Verflechtungsräumen, von denen aus Europa als veränderlicher Teil einer postkolonialen Welt betrachtet werden kann.