Institutskolloquium im Wintersemester 2018/19
Neuer Veranstaltungsort & Neue Uhrzeit
dienstags 14 - 16 Uhr c.t.
Hausvogteiplatz 5-7
10117 Berlin
Raum 0007
- Die Veranstaltungen finden wechselnd auf Deutsch oder Englisch statt.
Events will take place variously in German and English. - Abendveranstaltungen finden entweder dienstags oder donnerstags von 18 - 20 Uhr statt.
Evening events take place from 18 - 20h - either on Tuesday or Thursday - Veranstaltungen mit einem * finden zu anderen Zeiten oder in anderen Räumlichkeiten statt. Bitte konsultieren Sie dazu das unten stehende Programm.
Events with * will take place at deviant times, days or locations - Check the programme below
Ethnographies of the Contemporary
Perspektiven und Positionen einer Anthropologie des Politischen
Wie lässt sich der politische Moment, den wir gegenwärtig durchschreiten, begreifen? „Das Ende der liberalen Demokratie“, „Flüchtlingskrise“, „Festung Europa“ oder „drohendes Staatsversagen“ sind einige der prominenten Schlagworte aktueller Debatten, die auf Eines hinweisen: Die Grundlagen und Grundbegriffe des politischen Zusammenlebens und der gesellschaftlichen Selbstverständigung sind in Bewegung geraten, teils im Verschwinden begriffen. Diese Entwicklungen fordern nicht nur den etablierten politischen Betrieb heraus, sondern auch die Begriffe und Herangehensweisen, die wir zu ihrer Analyse nutzen.
Im Zentrum dieser Vorlesungsreihe steht die Frage, welches konzeptionelles und methodisches Instrumentarium die zeitgenössische Anthropologie anzubieten hat, um den gegenwärtigen politischen Moment analytisch zu durchdringen. Welches Potenzial bietet eine Differenzierung zwischen „Politik“ und dem „Politischen“ für disziplinäre Begriffsbildung und ethnografische Forschung? Und kann es gerade durch einen ethnografischen Ansatz gelingen, die Ausblendungen hegemonialer Debatten, alternative politische Geschichten und Zukunftsvisionen oder den Alltag und die Praxen der „Namenlosen“ als konstitutive Elemente des Politischen in den Blick zu nehmen?
Wir knüpfen hiermit auch an interdisziplinäre Debatten an, in denen das „Politische“ vielstimmig als eine dem Sozialen „Form gebende Gründungsdimension“ (Marchart 2010) diskutiert wird. Demnach lässt sich das Politische als ein elementares Feld verstehen, aus dem sich Politik als institutionalisierter Ort der Machtausübung und Konfliktregulierung herausbildet, dem aber zugleich dauerhaft das Potenzial innewohnt, Zusammenleben ganz anders zu konzipieren, zu ordnen und zu gestalten. Wenn die Regelhaftigkeit des Sozialen brüchig wird oder routinierte administrative Prozesse ins Stocken geraten – etwa im Zuge von unerwarteten Ereignissen, Reibungen, Krisen oder Revolutionen – tritt das Politische deutlicher hervor und wird empirisch greifbar.
In diesen Debatten treffen unterschiedliche theoretische Perspektiven aufeinander und werden neu zueinander positioniert. So lassen sich etwas eine „assoziative“ und eine „dissoziative Traditionslinie“ (Marchart 2010) unterscheiden. In der ersten Denkrichtung wird das Politische als ein (Zwischen-)Raum der Freiheit, Versammlung und öffentlichen Erörterung, der sich im Zusammenleben immer wieder neu herausbildet, verstanden. In der zweiten Perspektive werden primär primordiale Antagonismen, erratische Machteffekte und soziale Kämpfe als die Grundelemente des Politischen betont.
Im Rahmen dieses Kolloquiums werden Bezugnahmen auf unterschiedliche Konzepte des Politischen – wie sie etwa Hannah Arendt, Alain Badiou, Chantal Mouffe, Judith Butler, Michel Foucault oder Bruno Latour entwickelt haben – in Dialog gebracht und auf ihre Brauchbarkeit für zeitgenössische anthropologische Fragestellungen diskutiert. Von Interesse sind hierbei insbesondere die ethnografischen Potenzialen, die sich aus einem jeweiligen Fokus auf das Politische ergeben. In den Vorträgen wird dieser Nexus anhand von Forschungsfeldern und konzeptionellen Interventionen zu humanitären Projekten, und Grenzregimen, dem politischen Leben von Infrastrukturen, und queer politics, Migrationsbewegungen und den zeitgenössischen Rekonfigurationen Europas ausgeleuchtet. Hierbei geht es auch um die Vermessung des kontemporären Momentes, in dem Utopien und Zukunftsvisionen abhanden gekommen scheinen. Im Zuge von Konflikten, multipler sozialer Bewegungen oder der kollektiven Beschäftigung mit „Dingen von Belang“ (Bruno Latour) tritt das Politische um so deutlicher hervor und wird zur Quelle unterschiedlicher Formen des Hoffens und Sehnens, der Mobilisierung wie auch der Ernüchterung (Dzenovska & De Genova 2018).
Literatur:
Jens Adam & Asta Vonderau: (Hrsg.): Formationen des Politischen. Anthropologie politischer Felder. Bielefeld 2014.
Pierre Bourdieu: Über den Staat. Vorlesungen am Collège de France 1989-1992. Berlin 2014.
Dace Dzenovska & Nicholas De Genova: Introduction. Desire for the political in the aftermath of the Cold War. In: Focaal. Journal of Global and Historical Anthropology 80 (2018), pp. 1-15.
Bruno Latour: From Realpolitik to Dingpolitik or How to Make Things Public. In: Bruno Latour & Peter Weibel: Making Things Public. Atmospheres of Democracy. Cambridge 2005, pp. 4-31.
Oliver Marchart: Die politische Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben. Berlin 2010.
Yael Navaro-Yashin: ‘Life is dead here’. Sensing the political in ‘no man’s land’. In: Anthropological Theory, 3,1 (2003), pp. 107-125.
Johanna Rolshoven & Ingo Schneider (Hrsg): Dimensionen des Politischen. Ansprüche und Herausforderungen der Empirischen Kulturwissenschaften. Berlin 2018.
Titel | Vortragende_r | |
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16.10. |
Desire for the Political: Ethnography and Politics after the Cold War |
Dace Dzenovska (University of Oxford) |
23.10. |
Badiou out of Place: Multiplicities, Ontologies, and the Lived Experience of Forced Migration |
Elizabeth Cullen Dunn (Indiana University, Bloomington) |
30.10. |
Roundtable with Arjun Appadurai (New York University), Regina Römhild (HU Berlin), Mohammad Sarhangi (HKW, Berlin), Marcia C. Schenck (FU Berlin), Nadiye Ünsal (Labor Migration Berlin) |
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06.11. |
Moritz Ege (Universität Göttingen) |
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13.11. |
Monika Baer (University of Wrocław), Paul Mepschen (University of Amsterdam) & Patrick Wielowiejski (HU Berlin) |
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20.11. |
Michele Lancione (University of Sheffield) |
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27.11. |
Doing Gender in a Refugee Camp: Politics and Ethics beyond a Subject |
Čarna Brković (Universität Göttingen) |
04.12. |
Aus den Tiefen der Fernseharchive - eine Rekontextualisierung der Filme und Moderation von Navina Sundaram |
Merle Kröger (Berlin) und Mareike Bernien (Berlin) |
11.12. |
Gretchen Bakke (HU Berlin) |
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18.12. |
The Materiality of "Transition": Infrastructure as a Political Terrain in South Africa |
Antina von Schnitzler (The New School, New York) |
10.01.* |
Forced Exile as a Form of Life |
Didier Fassin (Institute for Advanced Study, Princeton) |
15.01. |
On Political Refusal: Sayasat and Democratic Disavowal in Post-Revolutionary Kyrgyzstan |
Madeleine Reeves (University of Manchester) |
22.01.* |
Data Natures: of Ethnographies, Troubles and bridges (inaugural lecture/Antrittsvorlesung) |
Tahani Nadim (Museum für Naturkunde & HU Berlin) |
29.01. |
The Only Game in Town? Anthropology and the Housing and Real Estate Markets in Berlin |
Studierende, Tomás S. Criado & Ignacio Farías (HU Berlin) |
01.02.* |
Ambivalenzen in den Verflechtungen von Migration, Gender und Care |
Studierende & Urmila Goel (HU Berlin) |
05.02. | Beyond Swamps: Mess as Politics, Mess as Resistance | Martin F. Manalansan (University of Minnesota, Twin Cities) |
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