Landesstelle für Berlin-Brandenburgische Volkskunde
Seit 1995 besteht am Institut für Europäische Ethnologie als wissenschaftliche Abteilung die Landesstelle für Berlin-Brandenburgische Volkskunde. Sie verortet sich programmatisch zwischen dem theoretischen Instrumentarium der Europäischen Ethnologie, dem Profil einer empirisch arbeitenden Forschungseinrichtung mit regionalem Schwerpunkt und dem Aufgabenfeld praktischer Servicefunktionen.
Die Arbeit der Landesstelle ist darauf ausgerichtet, eine bessere und schnellere Verknüpfung zwischen Forschung und Lehre sowie deren öffentlicher Vermittlung zu erreichen. Dafür sollen weit reichende Konzepte koordiniert, Forschungsprogramme arbeitsteilig auf den Weg gebracht und vor allem auch wissenschaftliches wie politisches Problembewusstsein geschaffen werden. Neben eigenen Forschungsvorhaben sowie Lehrveranstaltungen am Institut gehören regelmäßig durchgeführte Exkursionen unter Gesichtspunkten der Landesstellenarbeit zum festen universitären Angebotsspektrum.
Die Landesstelle führt Forschungsprojekte zu ethnologischen, kulturhistorischen und sozialanthropologischen Themen durch. Schwerpunkt sind dabei historische und gegenwärtige Probleme der Alltagskultur in der Region Berlin-Brandenburg. Ergebnisse solcher Untersuchungen fließen beispielsweise auch in Studienprojekte ein, wie die Arbeiten zur Ungleichzeitigkeit parallel bestehender zeithistorischer Erinnerungen am Beispiel des Zwangsarbeiter-Durchgangslagers Ost/West in Berlin-Wilhelmshagen während des Zweiten Weltkriegs zeigen. Dabei unterhält die Landesstelle zu zahlreichen kultur- und sozialwissenschaftlich arbeitenden Institutionen und Projektgruppen in Berlin und Brandenburg Verbindungen. Fachliche Kooperationen reichen von der Regionalgeschichte über die Urbanethnologie und Großstadtsoziologie bis hin zu interdisziplinären und -kulturellen Forschungsprojekten.
Als Institutionen lokal-kultureller Repräsentation und regionaler Selbstvergewisserung wird den Museen besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Seit 1995 bietet die Landesstelle mit ihren Workshops ein Forum an, das Museolog:innen und Fachwissenschaftler:innen zur interdisziplinären Diskussion zusammenführt. Die mittlerweile in Form von Arbeitsheften dokumentierten Veranstaltungen widmeten sich der „Wiederkehr des Regionalen“, den Sammlungs- und Präsentationsstrategien von DDR-Produktkultur in der Gegenwart, den Transformationsprozessen in der ostdeutschen Landwirtschaft oder dem praktischen Selbstverständnis volkskundlicher Museen. Besonderes Engagement gilt derzeit dem noch jungen Komplex der brandenburgischen Industrie- und Technikmuseen. Bei dem Versuch, zumindest einen Teil der historischen Produktionsstandorte museal zu sichern, fehlt es vielen Projekten noch immer an klaren Konzepten, gesicherten Trägerschaften und versiertem Leitungspersonal. Gemeinsam mit den betroffenen Initiativen und Projekten, dem Museumsverband und dem zuständigen Kulturministerium werden hier langfristig tragbare Lösungsansätze entwickelt und vom neu geschaffenen Verein „Brandenburgische Museen für Technik, Arbeit und Verkehr e. V.“ koordiniert.
Archiv
Das Archiv umfasst Bestände des ehemaligen Instituts für Volkskunde (später Wissenschaftsbereich Kulturgeschichte/Volkskunde) an der Akademie der Wissenschaften der DDR und des Instituts an der Humboldt-Universität Berlin. Langjährige Forschungsprojekte, Fragebogenaktionen und historische Recherchen namhafter Wissenschaftler:innen und Forschungsgruppen finden hier ihren Niederschlag. Vorarbeiten, Überarbeitungen, Korrespondenzen, Literatur, unterschiedliche Methoden und Konzepte können Auskunft geben im spannenden Diskurs von Wissenschaft und Zeitgeist. So ist unter anderem der Sprachforscher und Volkskundler Wolfgang Steinitz mit Vorarbeiten und Sammlungen zu seinen „Dt. Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten“ vertreten.
An Materialien werden etwa die umfänglichen Erhebungen der Arbeitsgruppe „Bäuerliche Arbeit und Wirtschaft“ in den 1960-1970er Jahren nachvollziehbar, oder auch die Grundlinien zum Forschungsvorhaben „Magdeburger Börde“, eines langjährigen interdisziplinären Projekts, verbunden unter anderen mit den Namen Wolfgang Jacobeit und Hans-Jürgen Rach. Vielfältige Unterlagen geben Auskunft über die Erfassungs- und Fragebogenaktion „Alte Bauten im neuen Dorf“ (1962-1968) zur Erforschung historischer Gebäude und Siedlungen auf DDR-Gebiet vor der sozialistischen Umgestaltung auf dem Lande. Bestandteil des Archivs sind zudem eine Reihe älterer Sammlungen und Nachlässe aus der Vorkriegsszeit (unter anderem der sogenannte Hahne-Nachlaß/Halle) und von einzelnen Heimatforscher:innen.
Im Juni 2001 wurde dem Archiv der Nachlass von Richard Beitl (1900–1982) aus seinen „Berliner Zeiten“ übergeben. Darunter sind wertvolle – teilweise noch nicht ausgewertete – Untersuchungen zur Region Berlin-Brandenburg aus den 1930er-Jahren, so von mehrjährigen Feldforschungen mit Studiereden im Flämingdorf Rosenthal bei Dahme. Mit einer weiteren Erhebung zu Kinderspielen und -reimen in Schulen des Stadtbezirks Steglitz wandte sich Beitl auch Berliner Themen zu. Reinhard Peesch, langjähriger Mitarbeiter von Beitl in diesen Jahren, setzte dann die Untersuchungen zum Kinderspiel an Berliner Schulen in den 1950er-Jahren fort.
Weitere Archivalien begleiten den Prozess der „Akademiereform“, der neugebildeten Struktur „Wissenschaftsbereich Kulturgeschichte/Volkskunde“ unter dem Blickwinkel des sich formierenden Forschungsansatzes „Kultur und Lebensweise der werktätigen Klassen und Schichten“ seit den 1970er Jahren.
Einbezogen in den Bestand sind ebenfalls die Unterlagen zum organisatorischen und inhaltlichen Ablauf des Fernstudiums Deutsche Volkskunde am Bereich Ethnographie/Sektion Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin (seit Mitte der 1960er-Jahre). Ein Bildarchiv mit mehreren zehntausend Fotos von traditionellen Gerätschaften aus allen Zweigen des häuslichen und ländlichen Arbeitens resultiert aus den langjährigen Forschungsschwerpunkt des Akademie-Instituts zur bäuerlichen Wirtschaft und Sachkultur.
Sammelschwerpunkte heute bilden alle Hinterlassenschaften volkskundlich/kulturwissenschaftlicher Forschung, die mit dem Standort Berlin/Brandenburg verbunden sind.
Ausdrücklich angesprochen sind auch alle diejenigen, die nach einer guten „Heimat“ für ihre nachgelassenen Studien, Arbeiten und Sammlungen suchen. Das Archiv soll nicht nur ein guter Aufbewahrungsort sein, sondern – dank der Anbindung an ein universitäres Institut – auch eine Stätte wissenschaftlicher Neugierde, des Hinterfragens, neuer Denkansätze und Projekte.