Das Gemeinsame als Imagination und Praxis: Prozesse gemeinwohlorientierter Infrastrukturierung rechtsanthropologisch und geschlechtertheoretisch
Aktuelle Auseinandersetzungen um die Berliner „Mobilitätswende“ (Fallstudie A) und um „gerechtes Gebären“ (Fallstudie B) untersucht TP E als politische Prozesse gemeinwohlorientierter Infrastrukturierung. Das Projekt interessiert sich dafür, wie in diesen Debatten um Infrastrukturen Vorstellungen eines Gemeinsamen hervorgebracht werden: Welche Bedeutung hat es, sich auf „das Gemeinwohl“ zu beziehen und welche Vorstellungen von einer gerechteren Zukunft werden dabei entwickelt und verhandelt? Welches wir wird dabei heraufbeschworen und wie entwickelt diese Vorstellung politische Strahlkraft und greifbare Effekte? Wie wird die Frage danach, wie wir gemeinsam leben wollen von den Akteur:innen jeweils beantwortet? Wie ist es zu verstehen, dass so unterschiedliche Felder wie Infrastrukturen rund um Geburtshilfe und städtische Mobilität jeweils für große politische Zukunftsvisionen der gerechteren Welt für alle herangezogen werden?
Besonders interessiert uns, wie in solchen Prozessen der Arbeit an Gemeinwohl-Infrastrukturen behördliches und institutionelles Handeln, zivilgesellschaftliches Engagement, politische und rechtsbezogene Arbeit zusammengebracht und mit Materialitäten und rechtlichen wie anderen normativen Ordnungen verknüpft werden. Wir gehen dabei (1) von einer weitgehenden Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs und einem Nebeneinander auch konkurrierender oder sich widersprechender Deutungen aus, mögen diese auch weitgehend implizit bleiben. Weiterhin (2) wollen wir die Umkämpfheit des Begriffs des „Allgemeinen“ herausarbeiten. Das Aufrufen von Gemeinwohl geht sowohl mit dem Entwurf von (alternativen) Zukünften wie auch eines (solidarischen) Miteinanders einher, gleichwohl kann es aber auch mit Vorwürfen ungerechtfertigter Verallgemeinerung konfrontiert sein.
Die drei Schlagworte Recht – Geschlecht – Kollektivität bilden weiterhin zentrale Achsen der Analyse: Wie kann Recht auf Interessenlagen und Konflikte reagieren, die nicht an autonome Inhaber:innen von Rechten und Pflichten geknüpft werden (können), sondern als originär kollektiv und intersubjektiv – eben von allgemeinem Interesse – betrachtet werden? Welche intersektional vergeschlechtlichten Vorstellungen schreiben sich in Gemeinwohl-Rhetoriken und -Praktiken ein, entgegen dem Anspruch für alle zu wirken? Mit Gemeinwohl steht ein Konzept im Zentrum unseres Forschungsinteresses, das auf ein Gemeinsames verweist und dieses zugleich mit hervorbringt, indem es Kollektivierungsprozesse anstößt.
Das Forschungsprojekt ist Teil der
DFG-Forschungsgruppe "Recht - Geschlecht - Kollektivität. Das umkämpfte Allgemeine und das neue Gemeinsame"
Homepage: www.recht-geschlecht-kollektivitaet.de/
Kontakt: for-rgk.ifee (a) hu-berlin.de
In dieser interdisziplinären Forschungsgruppe kooperieren Geschlechterforscher:innen aus der Rechtswissenschaft, der Soziologie, der Europäischen Ethnologie und der Geschichtswissenschaft. Mit Fokus auf den Zusammenhang von Recht, Geschlecht und Kollektivität stellt die Forschungsgruppe die Austauschprozesse, Wechselwirkungen, Widersprüche und Ambiguitäten ins Zentrum, die dort entstehen, wo alltagsweltliche, institutionelle und rechtliche Praktiken aufeinandertreffen. Gefragt wird nach den konstituierenden und regulierenden Funktionen, die den spezifischen Modi, Praktiken und Mobilisierungsformen des Rechts zukommen, und in welcher Weise Geschlechternormen und -verhältnisse in verschiedene Dimensionen der Kollektivität hineinwirken.
In sechs Teilprojekten werden Kollektive, Vorstellungen von Kollektivität und Prozesse der Kollektivierung in ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung analysiert und dabei unterschiedliche Dynamiken der Ko-Evolution von Recht, Geschlecht und Kollektivität herausgearbeitet.
Beteiligte Wissenschaftler*innen sind Prof. Maja Apelt, Universität Potsdam; Prof. Susanne Baer, HU; Prof. Beate Binder, HU (Sprecherin); Prof. Sabine Hark, TU; Prof. Hanna Meißner, TU; Prof. Eva Kocher, Europa Universität Viadrina; Prof. Martin Lücke, FU.
Projektbeginn zweite Förderphase: |
Juli 2021 |
Projektbeginn erste Förderphase: |
Januar 2018 |
Förderinstitution: | Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) |