Was ist Europäische Ethnologie?
Die Europäische Ethnologie erforscht, wie der Mensch im Alltag handelt und mit anderen zusammenlebt. Das Besondere dieser empirischen Kulturwissenschaft ist, dass sie diese Praktiken und Begegnungen nicht nur beschreibt, sondern kritisch analysiert. Das heißt: Die Forscher:innen begleiten und befragen Menschen in ihrer Lebenswelt – und deuten diese Beobachtungen dann aus einer reflexiven kulturtheoretischen Perspektive, die das scheinbar "Normale" in Gesellschaften hinterfragt. Das Ziel ist es, besser zu verstehen, wie Gruppen sich formen und geformt werden: Wie organisieren und verhalten sie sich, welche Geschichten erzählen sie über sich und andere, wie grenzen sie sich voneinander ab? Welche Rolle spielt dabei ihre Umwelt, und wie verorten sie sich in der Welt?
Unser Anspruch
Am Institut für Europäische Ethnologie in Berlin ist es unser Anspruch, das Fach und seine Forschungsanliegen auf besondere Weise zu interpretieren – nämlich im Sinne einer öffentlichen und engagierten Wissenschaft, die Antworten auf die zentralen Fragen der Gegenwart und Zukunft finden will. Unser Zugang zeichnet sich durch seine alltagskulturelle, historische, relationale und reflexive Blickrichtung aus:
- Wir untersuchen die soziale Wirklichkeit in europäischen Gesellschaften und einer global verflochtenen Welt, indem wir uns mit den alltäglichen Lebenswelten und -wahrnehmungen von Menschen befassen – bei größtmöglicher Präsenz in und Nähe zu unserem Forschungsfeld.
- Zugleich interessiert uns, wie diese gesellschaftlichen Wirklichkeiten historisch ermöglicht und hergestellt wurden. Dabei betrachten wir insbesondere die koloniale Vergangenheit und postkoloniale Gegenwart mit ihren vielfachen globalen Verflechtungen und Folgen für Bereiche wie Arbeit und Mobilität, Wirtschaft und Politik; gerade auch mit Blick auf Europäisierungsprozesse.
- Diese Perspektive erlaubt uns, relational zu denken und unsere Beobachtungen und Beschreibungen in größere Zusammenhänge einzuordnen – also sie zum Beispiel mit Blick auf soziale, historische oder gesellschaftspolitische Entwicklungen zu erklären und zu verstehen.
- Nicht zuletzt nehmen wir eine reflexive Position ein, die sich durch die gesamte Forschung zieht: Wir setzen uns kritisch mit Geschichte und Praxis der Europäischen Ethnologie auseinander, überprüfen fortlaufend sowohl Richtung und Resultate des Forschungsprozesses als auch unsere eigene Rolle – und hinterfragen anhand unserer Erkenntnisse gesellschaftliche Verhältnisse.
Nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche und Phänomene lassen sich in der Europäischen Ethnologie untersuchen. An unserem Institut beschäftigen sich die Forschenden insbesondere mit folgenden zentralen Themen und Problemen der Gegenwart:
Unsere Schwerpunkte
Gender & Sexualität
Welche Rolle spielen Geschlecht und Sexualität im alltäglichen Handeln? Wie werden Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit hervorgebracht, stabilisiert und verschoben? Wie verbindet sich das Geschlechterverhältnis mit anderen Ungleichheitsverhältnissen? Mehr über den Schwerpunkt Gender & Sexualität
Europa & postkoloniale Verflechtungen
Wer oder was bestimmt, was Europa ist? Welche anderen Europas lassen sich in den Geschichten und der Gegenwart postkolonialer Verflechtungen und globaler Migrationsbewegungen entdecken? Wie wird Europa nicht nur “von oben”, sondern auch “von unten” und von seinen Rändern aus hergestellt? Mehr über den Schwerpunkt Europa & postkoloniale Verflechtungen.
Migration & Globalisierung
Mit welchen Begriffen, Bildern und Geschichten stellen wir uns Migration vor und sprechen über sie? Warum gibt es so viel Streit um Migration, wo doch Menschen schon immer mobil waren? Wie kann Migration zur Demokratisierung von Gesellschaft beitragen? Mehr über den Schwerpunkt Migration & Globalisierung
Stadt & Infrastruktur
Wo und wann ist ethnographisch gesehen die Stadt? Welche stadtpolitischen Transformationen zeigen sich an der Schnittstelle von Urbanität, Urbanisierung und Urbanismus? Welche Rolle spielen Infrastrukturen in der Gestaltung des urbanen Zusammenlebens? Was kann die Ethnographie aus den Praktiken der Stadtgestaltung lernen? Mehr über den Schwerpunkt Stadt & Infrastruktur
Umwelt & Gesundheit
Wie ist menschliches Zusammenleben innerhalb von planetaren Grenzen möglich? Wie ist Gesundheit mit sich verändernden Umweltbedingungen verknüpft? Wie können wir zu sozial-ökologischen Transformationen weltweit beitragen? Mehr über den Schwerpunk Umwelt & Gesundheit
Recht & Politik
Wie werden politische Ziele und Vorstellungen verhandelt? Wie wird Politik in alltägliche Praxis übersetzt? Wie organisiert Recht den Alltag, und wie wird Recht mobilisiert, um eigene Ansprüche und Ziele zu erreichen? Mehr über den Schwerpunkt Recht & Politik
Arbeit & Digitalität
Wie verändert die Allgegenwart digitaler Technologien unser Leben, wie prägen sie die Zukunft? Wie automatisieren sie Arbeit und Mobilität? Wie strukturieren sie, wozu wir uns zugehörig fühlen? Mehr über den Schwerpunkt Arbeit & Digitalität
Museum & Erbe
Was prägt eine Gesellschaft? Was macht Identität oder Differenz aus? Wie lassen sich Kategorien wie Zugehörigkeit, Eigentum oder gar das Verhältnis von Geschichte, Gegenwart und Zukunft definieren? Mehr über den Schwerpunkt Museum & Erbe
Fachgesellschaften & Verbände
Die Deutsche Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft (DGEKW) ist eine Vereinigung aller im Fachzusammenhang Empirische Kulturwissenschaft, Europäische Ethnologie, Kulturanthropologie, Volkskunde) tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie der Dachverband entsprechender Institutionen und Körperschaften. Zur Website
Die Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie ist eine Fachvereinigung von Ethnologinnen und Ethnologen und an der Ethnologie interessierten Personen und Institutionen. Sie wurde ursprünglich 1929 als Gesellschaft für Völkerkunde gegründet und im Jahr 2017 umbenannt. Die DGSKA hat sich insbesondere der Förderung der ethnologischen Forschung und Lehre und der Verbreitung ethnologischen Wissens verpflichtet. Zur Website
Die European Association of Social Anthropologists (EASA) ist ein Berufsverband für alle Sozialanthropologen, die in Europa ausgebildet wurden oder dort arbeiten. Die Vereinigung fördert die Sozialanthropologie in Europa, indem sie alle zwei Jahre Konferenzen organisiert, ihre wissenschaftliche Zeitschrift Social Anthropology/Anthropologie Sociale, ihren Newsletter und zwei Publikationsreihen herausgibt. Darüber hinaus unterstützt die EASA thematische Netzwerke. Zur Website
Die Internationale Gesellschaft für Ethnologie und Folklore (SIEF) st eine internationale Organisation, die die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern fördert, die in den Bereichen Europäische Ethnologie, Volkskunde, Kulturanthropologie oder in angrenzenden Gebieten arbeiten. Die SIEF organisiert große internationale Kongresse und kleinere Workshops. Zur Website