Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Forschungsprojekt „Vom Trauma zur Marke?“

Das „Jüdische Berlin“ zwischen Erinnerungspolitik und urbanem Marketing

Projektbeginn:

Januar 2014
Förderinstitution: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

 

„Jüdisches Berlin“: Dieser Begriff bezeichnet einerseits ein zentrales Element deutscher Holocaust-Erinnerung, andererseits zunehmend aber auch eine neue touristische „Marke“. In der Vermarktungspraxis der Hauptstadt wurde in den letzten Jahren ein spezifisches, stadtgeschichtliches Image aufgebaut, das nun eine besondere Mischung aus historischen Bildern, erfahrbarer Geschichte, aktueller Erinnerungskultur und dem Versprechen „authentischer Spuren“ des verlorenen deutsch-jüdischen Lebens präsentiert.

Im Zusammenspiel von Marketing-Agenturen, der Tourismusbranche, den städtischen Medien, den Kulturschaffenden, Gastronomen und Festivalagenturen und schließlich auch der Wissenschaft wurde damit ein Prozess eingeleitet, der sich als urban imagineering bezeichnen lässt. Gemeint ist damit ein ausdifferenziertes Diskurs- und Praxisfeld, in dem vor allem auch professionalisierte Akteursgruppen aktiv daran beteiligt sind, spezifische Bilder, Narrative und Symbole der „großen Städte“ zu generieren. Sie betonen bewusst deren „Eigenlogik“ als ein Alleinstellungsmerkmal, das sich aus der Geschichte und Ökonomie wie aus der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung urbaner Räume speist und das damit historische Plausibilität erhält und neue symbolische Wirkung erzielt. Urban Imagineering bedingt damit stets sowohl die historischen Images wie die imaginären Symboliken einer Metropole.

Das geplante Projekt geht davon aus, dass die „Bilder des Jüdischen“ heute einen elementaren Markenkern im Prozess des urban imageneering Berlins darstellen. Es sollen daher diejenigen Bilder, Strategien, Praxen und Akteure beobachtet und analysiert werden, die dieses „Jüdische Berlin“ auf den Weg bringen. Gleichzeitig soll die Brauchbarkeit des Konzepts „Eigenlogik“ untersucht werden. Zu fragen ist dabei insbesondere nach den Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung der Marke „Jüdisches Berlin“ und der deutschen Holocaust-Erinnerung der letzten Jahrzehnte.

Im Unterschied zu dem ebenfalls von der DFG geförderten Vorgängerprojekt „Jüdische Räume: historische und symbolische Landschaften in Budapest und in Berlin“ (im Online-Archiv) soll es dabei nicht primär um die Produktion jüdischer Selbstbilder gehen, sondern nun vor allem um jene Produktion von Fremdbildern, die den urbanen Räumen ihre imaginative Signatur verleihen. Die Arbeitshypothese lautet hierbei, dass dieses „Jüdische Berlin“ heute im Begriff steht, als imaginatives Konstrukt re-ethnisiert und damit exotisiert zu werden: nicht mehr als historischer Bestandteil „deutscher“ Stadtkultur betrachtet zu werden, sondern nur mehr als eine von vielen migrantischen und „fremden“ urbanen Kulturen.